Sven Regener: Jens Kloppmann - Die Welt als heiteres Drama

Da läuft einer durch Berlin mit schnell aushärtendem Plastilin und drückt es in die Einschusslöcher im Putz der alten Häuser, hastig und entschlossen, bevor ihn einer erwischt und es ihm verbietet, man weiß ja nie. Später wird er diese Löcher eins zu eins in Gips reproduziert an Wände hängen, und die Leute werden daran vorbeigehen und sie betrachten und sich fragen, wie dieses Einschussloch wohl zustande kam, wer da wohl geschossen hat und auf wen eigentlich. Aber auch, was das wohl für einer ist, der sowas macht, das zugleich so einfach wie genial ist.

Es ist Jens Kloppmann.

Das ist der, der dahin geht, wo sonst keiner hin will, und der dann dort das macht, was sonst keiner übernimmt, Trotzki rehabilitieren etwa, den Prototyp des herausretuschierten, in Ungnade gefallenen Kommunistenführers (vgl. auch Lin Biao, Die Viererbande, Sinowjew, Kamenew et alteri), der bei Jens Kloppmann mit Anwesenheit bei Willy Brandts Kniefall in Warschau oder beim Black-Panther-Gruß bei der Olympiade in Mexiko für sein Fehlen bei Moskauer Militärparaden entschädigt wird, kein schlechter Tausch, denkt man, nur schade, dass er das nicht mehr erlebt hat.

Und schon ist man mittendrin in Jens Kloppmanns Kunstwelt.

Das ist die Welt, in der die Diktatoren mit Tieren posieren, und das ist dann keine Verniedlichung und keine Verharmlosung, Jens Kloppmann relativiert nicht, er allegorisiert aber, er gibt uns in diesem Fall eine Ahnung von jenem ständigen Nachjustieren der Bilder, die wir uns von öffentlichen, mit Macht ausgestatteten Figuren machen, seien sie nun Diktatoren oder Freiheitskämpfer oder beides, Popstars oder Heilige, Opfer oder Täter, deren Bilder im Verlauf der Geschichte erstarren wie das Plastilin in den Einschusslöchern und sich von den den konkreten Lebensläufen und Taten ablösen, sodass Pop-Ikonen, tragische Helden oder auch Witzfiguren entstehen, ohne dass man weiß, wie das nun wieder kommen konnte.

Aber man muss das wissen wollen, und man muss sie kennen, die Leute mit den Tieren zum Beispiel, und man muss wissen, dass es sich um Einschusslöcher handelt, und man muss eine Ahnung von Trotzki mitbringen, sonst wird man nichts bei Jens Kloppmann. Wie jeder Allegoriker, wie etwa die großen Maler, Musiker und Bildhauer des Barock, gibt uns Jens Kloppmann nichts Selbsterklärendes zur Hand, und das macht ihn dann wiederum zu einem, der deutlich, wenn auch nicht ganz bruchlos an die großen ernsten Spaßvögel der jüngeren Moderne erinnert, an Joseph Beuys etwa, aber vor allem an Martin Kippenberger, und das ebenso in der Wahl der Mittel wie in Hinsicht auf damit einhergehende radikale Ignoranz gegenüber allen Kunstmarktgeschmeidigkeiten und Verwertungspraktiken.

Obwohl auch da was geht. Nirgendwo ist der allegorische Charakter wie auch der speziell Kloppmannsche Blick auf die Welt als heiterem Drama so deutlich wie in dem großen Laubsägearbeitszyklus „slagten/schlachten“ bzw. den mit den Elementen daraus geschaffenen Friesen in Bad Kleinen und Kassel. Hier schuf Jens Kloppmann eine Unzahl von Sperrholz-Schattenrissen, die uns zugleich bekannt vorkommen, wie wir sie aber zugleich auch nur nach und nach entschlüsseln können: die Beatles, die Fünfzigpfennigstückfrau, ein Gefangener von Abu Ghraib, Sid Vicious/Nancy Spungen, Saddam Hussein, der tödlich Getroffene von Robert Capa, der knieende Willy Brandt, Elvis Presley als Westernheld, der segnende Woytila und viele, viele mehr, sie geben sich ein Stelldichein, treten in „schlachten“ als zwei Heere gegeneinander an oder umrunden einen Raum als Fries, und auch dies sagt etwas über das Kloppmannsche Kunstprinzip aus: Es ist da eine seltsame Bescheidenheit wahrzunehmen, insofern Jens Kloppmann völlig hinter seine Kunst zurücktritt, gerne auch seine Werke fast schon versteckt, die Einschusslöcher in weißen Gipstafeln ohne Rahmen auf weißer Wand aufgehängt, die Laubsägefiguren ganz oben unter der Decke angebracht, ein Maulwurfshaufen aus Beton auf einer Wiese, ein Napfkuchen aus Knete, ein Siegertreppchen ohne Sinn und Sieger, sie alle tarnen sich, schmiegen sich in die Wirklichkeit und springen uns erst im letzten Moment des Erkennens an als Boten aus einer anderen Welt, der Welt der Kunst, wie Außerirdische quasi, die nicht entdeckt werden wollen, deren Mimikry aber ein komisches Moment birgt, eine Unvollkommenheit, die fröhlich macht.

 

Das ist dann Jens Kloppmann, der Guerillakünstler: Hat man einmal von seiner Kunst erfahren, ist man nirgendwo vor ihr mehr sicher.