Markus S. Schulz - Beitrag über Jens Kloppmanns " Im fotografischen Exil - Rache für Trotzki " für den Band "Störzeichen: Das Bild angesichts des Realen"
Rekombinierte Repräsentationen – Untersuchungen Fotographischer Wirklichkeit
I
Nachdem es Stalin gelungen war, seinen Kontrahenten Leo Trotzki zuerst aus allen Regierungs- und Parteiämtern zu entfernen, nach Kasachstan zu verbannen und schließlich 1929 ganz aus dem Sowjetreich abzuschieben, ließ er auch noch Trotzkis Bild aus historischen Aufnahmen, die im sowjetischen Einflussbereich erschienen, wegretouchieren. 1940 wurde der Kritiker Stalins und Proponent der Idee einer “ permanenten Revolution “ in seiner zur bewachten Festung ausgebauten mexikanischen Exil-Wohnung in Coyoacán von einem eingeschleusten Auftragsmörder mit einem Eispickel ermorden. In der Ausstellung “ Im fotografischen Exil – Rache für Trotzki “ taucht jedoch das Bild Trotzki Jahrzehnte später plötzlich auf Fotografien geschichtlicher Situationen auf, bei denen Trotzki eigentlich gar nicht zugegen war, zum Teil auch gar nicht hätte zugegen sein können, da er dann schon gar nicht mehr gelebt hatte. Während das Antlitz Trotzkis auf Geheiß Stalins aus historischen Aufnahmen wegretouchiert wurde, montiert es der Künstler Jens Kloppmann in Aufnahmen von ganz anderen Ereignissen hinein. In diesem Sinne findet Trotzki ein “ fotografisches Exil „.
So erscheint Trotzki auf einmal als Teilnehmer des Hungermarsches von Jarrow nach London im Jahr 1936. Der mit Hut in der Hand marschierende Trotzki, der auf dem Bild die Mundharmonika spielenden britischen Arbeitslosen zu begleiten scheint, entstammt aus einer historischen Aufnahme, die sechs Jahre zuvor, 1929, entstand, als Trotzki nach seiner Ausweisung aus Sowjetrussland in Paris eintraf.
Auch auf Fotos von Ereignissen nach seinem gewaltsamen Tode taucht Trotzki plötzlich auf. Er erscheint auf dem Siegerpodest der Olympiade von 1968 in Mexiko zusammen mit den zwei schwarzen Athleten, die ihre hochgestreckten Hände in schwarzen Handschuhen zur Black-Panther-Faust ballen; im Fernseh-Rededuell mit John F. Kennedy während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes von 1960; vor dem Weissen Haus in Moskau auf einem Panzer mit Boris Jelzin während des Putschversuchs von 1991 ; als Souffleur oder Dolmetscher Gorbatschows im Treffen mit Reagan bei der Genfer Abrüstungskonferenz 1985 ; und, als jüngstem Ereignis, während des G8-Treffens in Genua 2001 . Ein anderes Mal erscheint Trotzki an der Stelle des Künstlers Joseph Beuys in einem Foto von 1972, auf das Beuys die Worte „La revoluzione siamo noi“ (Die Revolution sind wir) geschrieben hatte.
Jens Kloppmann (geb. 1969 in Witten) zog bereits durch zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland die Aufmerksamkeit auf seine bahnbrechenden Arbeiten und gilt heute als einer der originellsten zeitgenössischen Konzeptkünstler in Deutschland. Nach seinem Studium der freien Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar und der Kunsthochschule Kassel machte er schon früh von sich reden als einer der zentralen Akteure in der nicht unumstrittenen Kasseler Künstlergruppe um Matz Weidmann, aus der später das Museum für werdende Kunst (MWK) hervorging. Kloppmanns Arbeiten wurden am nachhaltigsten gepraegt von seiner intensiven Beschaeftigung mit den künstlerischen Strömungen von Fluxus und Minimalismus sowie dem französischen Poststrukturalismus und der Sprachphilosophie des Wiener Kreises. Seine Auseinandersetzung mit Sprachphilosophie schlug sich in mehreren seiner Werke nieder, so etwa die Arbeit von 1992 mit dem Titel “ Wittgenstein zum Schweigen gebracht „, in der er den gesamten Tractatus logico-philosphicus Zeile fuer Zeile durchgestrichen hatte.
Kloppmann konzeptionierte auch den legendären Austausch der Ortsschilder von Bonn und Weimar im August 1996 in Anspielung auf das geflügelte Wort “ Bonn ist nicht Weimar „.
Auf Stalins Fälschungen reagierte Kloppmann nun mit neuen Fälschungen. Handwerklich sind Kloppmanns Montagen durchaus als solche zu erkennen. Um perfekte Fälschungen geht hierbei gar nicht. Seine Fotomontagen bieten dem Bild Trotzkis ein „fotografisches Exil“. Die Aufnahmen in denen Trotzkis Bild exiliert ist, sind sämtlich von historischer Bedeutung. Es ist dabei unerheblich, dass viele der Fotos, in die Trotzkis Bild hineinmontiert wurde, erst nach dessen Tode entstanden. Auch ein Exilant kann sich sein Exil nicht immer aussuchen.
Kloppmanns Arbeiten sind in keinem eng plakativen Sinne politisch. Er läßt sich auch nicht als Trotzkist bezeichnen. Kloppmann selbst hat einmal bemerkt, dass das Wort Trotzki „im Prinzip ja nur eine Idee“ sei, eine Worthülse wie etwa in Jörg Fausers Gedicht mit dem Titel „Trotzki, Goethe und das Glück“ (Fauser 1979). Kloppmanns Wirken ist jedoch politisch in einem erweiterten Sinne, insofern es darin um eine Intervention in das Verhältnis von Bildern, Wirklichkeit und deren radikale Transformierbarkeit geht.
Zum tieferen Verständnis der Kloppmannschen Trotzki-Montagen ist es hilfreich, sich kurz einige Eckpunkte aus der Geschichte des Retuschierens zu vergegenwärtigen und über das allgemeinere Verhältnis von Photographie und Wirklichkeit zu reflektieren.
II
Auf Stalins Geheiß sollten dessen Konkurrenten um die Macht im Sowjetimperium nicht nur physisch liquidiert werden, sondern auch aus historischen Dokumenten und von Fotos entfernt werden, um auch noch die Erinnerung an diese auszulöschen. Gedichte, Romane und Gemälde von Heldentaten während der Revolution dem Prinzip unterstellt, die Größe und Genialität Stalins herauszustellen. Stalinistischer Führermythos. Eines der drastischsten Beispiele für stalinistische Bildmanipulation ist die Retusche eines Fotos von der Rede, die Wladimir Iljitsch Lenin am 5.Mai. 1920 auf Swerdlow-Platz vor dem Bolschoi-Theater in Moskau. Das Original dieses Photos war schon zu Lenin´s Zeiten massenhaft verbreitet. Es zeigt Lenin in engagierter Rednerpose auf einer Tribüne, auf dessen Stufen Trotzki und, etwas verdeckt dahinter, Leo Kamenev stehen. Unter Stalins Führerschaft wurde das Foto jedoch ab 1927 nur noch in retuschierter Version veröffentlicht. Statt Trotzki und Kamenev waren jetzt nur noch Holzstufen zu sehen.
Trotzki selbst hatte schon die Stalinsche Propagandamaschine angeprangert an und des Retuschierens bezichtigt. In seinem Leserbrief vom 17. Juni 1938 an die damals in New York beheimatete Redaktion des Partisan Review, weist Trotzki darauf hin, dass die Regierungszeitung Iswestia selbst eine allzu offensichtliche Faelschung zugeben musste, als sie es in der Ausgabe vom 28.April 1938 bedauerte, am Vortag ein Foto von einem Gemaelde abgedruckt zu haben, das Stalin als Führer des Streiks in Tiflis zeigt, obwohl dieser daran überhaupt nicht beteiligt war, sondern in einem Kerker im entfernten Batum einsass. Trotzki kritisiert in dem Leserbrief ein Jahr vor seinem gewaltsamen Tod in einem generelleren Urteil den offiziellen Kunststil des sozialistischen Realismus und klagt die Kremlbürokratie der Geschichtsfälschung an:
Dieser Realismus besteht darin, die provinziellen Daguerreotypen des dritten Viertels des letztenn Jahrhunderts nachzuaeffen; der sozialistische Charakter besteht offensichtlich darin, mit den Mittelns einer verfälschenden Photographie Ereignisse darzustellen, die niemals stattfanden. Es ist nicht möglich, ohne ein Gefühl des physischen Ekels und Entsetzens sowjetische Verse oder Romane zu lesen oder Reproduktionen sowjetischer Gemälde und Plastiken zu betrachten (Trotzki 1939)
Wie King, der ehemaliger Direktor der London Sunday Times und Besitzer der umfangreichsten Sammlung von Dokumenten zu Stalins Propagandamachinerie, in der Einleitung zu seinen Band (King 1997) über Stalins Retuschen schreibt, war es zu Zeiten der stalinistischen Gewaltherrschaft gefährlich auch nur ein Bild Trotzkis zu besitzen. Der Versuch der Umschreibung der Geschichte ging sogar soweit, dass aus privaten Fotoalben und Erinnerungsbüchern die als Staatsfeinde Verfemten herausgeschnitten oder übermalt wurden. Das Prinzip der Geschichtsumschreibung ging indes auch nach Stalins Tod im Jahr 1953 weiter. Im Anschluss an Chrustschows stalinkritischer Geheimrede von 1956 wurden Bilder und Monumente des verstorbenen Diktators nach und nach gezielt eingestampft.
III
Im Prinzip ist der Versuch des Auslöschens von Objekten der Erinnerung keine Erfinding des 20.Jahrhunderts. Schon im alten Rom versuchten neue Kaiser die Spuren missliebiger Vorgänger zu tilgen, indem sie Statuen zerstören und Inschriften wegmeisseln liessen. Mit der mechanischen Reproduzierbarkeit von historischen Dokumenten wird indes die Kontrolle schwieriger, wenn ein Text oder eine Photographie bereits massenhaft verbreitet worden ist. Der Versuch der Umschreibung von Geschichte großen Stils bedarf dann eines totalitären oder stark autoritären Staatsapparates, wenn dieser auch nur annähernd gelingen soll.
Die bürokratisch-autoritären Diktaturen des südamerikanischen Cono Sur liessen in den 1970er und frühen 1980er Jahren zehn Tausende missliebiger Oppositioneller verschwinden, in dem sie nach deren Ermordung an geheimen Orten vergraben oder über dem offenen Meer aus Flugzeugen geworfen wurden. In vielen Fällen wurden die Namen der Opfer aus den amtlichen Geburtsregistern gelöscht, so als ob sie nie existiert hätten. Die infrastrukturelle Macht dieser Diktaturen reichte indes nicht aus, die lebendige Erinnerung im Gedächtnis der Angehörigen oder auch nur die Fotos der Opfer zu vernichten, die sich noch im Besitz entfernter Verwandte und Bekannte befanden oder die Dokumente, die auf unzählige lokale Verwaltungsstellen verstreut lagerten. In Argentinien demonstrierten die Muetter der Verschwundenen auf dem zentralen Plaza de Mayo von Buenos Aires. Viele von ihnen trugen wie als Kopftuch eine Baumwollwindel, wie um den Nachweis zu erbringen, dass sie einst ein Kind aufgezogen haben, dessen Existenz der Staat nun leugnet. Der auf Plakate gezeichnete Umriss einer Person wurde im Protest zu einem Symbol für das staatlich veranlasste Verschwindenlassen von Menschen. Die auf Kartons geklebten Fotographien der vermissten Kinder wurden zum oeffentlich anklagenden Belastungsmaterial. Die spätere Beweisführung in vor Gericht zugelassenen Verfahren nach der Demokratisierung seit den späten 1980er und 1990er Jahren verlangte indes umfangreichere Dokumente und Zeugnisse, die die Täterschaft konkreter Personen belegen können, was nur in den seltensten Fällen gelang.
Im O.J.Simpson-Zivilprozess präsentierte die Anklage insgesamt 31 Aufnahmen des Freelance- Photographen E.J. Flammer Jr. und eines Kollegen auf denen Simpson während des Besuches eines Football-Spiels im September 1993 in den gleichen von Bruno Magli Lorenzo gefertigten Designer-Schuhen zu sehen ist, mit denen die blutige Spur in Verbindung gebracht wurde, die vom Tatort des Doppelmordes vom 12.Juni 1994 an Simpson ehemalige Gattin Nicole Brown Simpson und deren Freund Ronald Goldman wegführte. Die Verteidigung behauptete jedoch vor Gericht, dass die Fotos Fälschungen seien von Leuten, die mit dem Simpson-Fall Geld verdienen wollten. Zur Abstützung der Beweiskraft der Fotos lud die Anklage Gerald Richards als Fotoexperten vor und bewegte ihn zu der Aussage, dass er auf keiner einzigen der Aufnahmen Spuren einer Manipulation hatte entdecken können. Im Kreuzverhör durch den Verteidiger Daniel Leonard musste Richards dann allerdings einräumen, dass die Aufnahmen bei Vorhandensein von genug Zeit, Geld und Fingerfertigkeit durchaus auch gefälscht sein könnten. Als letztes Beweisstück praesentierte die Verteidigung daraufhin die Preisliste einer Photoagentur aus Buffalo, New York, worin die Senderechte für die Übertragung der Fotos im Fernsehen für 18.000 Dollar angeboten wurden. Trotzdem verlor Simpson, der im Strafprozess freigsprochen worden war, diesen Zivilprozess (für Details aus der umfangreichen Prozess-Berichterstattung siehe u.a. CNN 1997). Während eine Verurteilung in einem Strafprozess nur statthaft ist, wenn der Angeklagte in den Augen der Geschworenen “ beyond resonable doubt “ schuldig ist, geht es in einem Zivilprozess darum, welche Seite glaubhafter argumentiert. Die gerichtliche Zugespitzung der Frage nach der Beweiskraft von Fotos, macht deutlich, dass sich dereneinmal eingezweifelte Glaubwürdigkeit nicht aus sich selbst ergibt, sondern aus aus dem Kontext einer kohärenten Geschichte und einer Zertifizierung durch glaubhafte Instanzen, wie etwa namhafte Experten oder gutbeleumundete Zeugen.
Im Zuge der in Deutschland kontrovers diskutierten Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht kam der Beweis- und Aussagekraft von Fotos besondere Aufmerksamkeit zu. Die von einer Arbeitsgruppe des Hamburger Institut für Sozialforschung um den Austellungsmacher Hannes Heer konzeptionierte Wanderausstellung “ Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944 “ zeigte insgesamt rund 800 Fotos. Der Historiker Bogdan Musial wies mit Hilfe aufwendinger Archivrecherchen und Interviews mit Zeitzeugen nach, dass neun zentrale Fotos falsch zugeordnet wurden und nicht als Nachweis für Wehrmachtsverbrechen dienen können. So handelte es sich nach Musial (1999) bei den vermeintlich von der Wehrmacht ermorderten Leichen auf einem der Fotos tatsächlich um Opfer des sowjetischen Geheimdienstes NKWD, die von der Wehrmacht lediglich inspiziert wurden, als die Aufnahme entstand. Der falschen Zuordnung zentraler Fotos wurde dadurch Vorschub geleistet, dass viele dieser Fotos später von der UdSSR als Beweise für Wehrmachtsverbrechen ausgegeben wurden. Insgesamt streitet Musial keineswegs ab, dass die fotografisch nicht dokumentierte Wehrmacht verbrecherische Massenmorde verübt hat. Durch seine Aufdeckungen wurde jedoch die Glaubwürdigkeit der Austellung so tief erschüttert, dass sie vorübergehend geschlossen wurde und erst nach einer umfangreichen Überarbeitung wiedereröffnet wurde. Das Austellungsdebakel hat zur kritischen Hinterfragung der vermeintlich unangreifbaren Beweiskraft von Fotos als historischen Quellen geführt und eine breitere Oeffentlichkeit für die Problematik sensibilisiert. Die historische Aussagekraft eines Fotos ergibt sich, so kann festgehalten werden, aus der Einbettung in einen Kontext von Wissen, das sich wechselseitig durch andere Indizien (Zeugenaussagen, Dokumente etc.) und Plausibiltaet erzeugender Theorien stützt. Auf Grund ihrer Reputation dienen die beteiligten Wissenschaftler und Medien der breiteren Oeffentlichkeit schliesslich als Zertifizierunginstanzen für die spezifischen Urteile über das Verhältnis von Foto und historischer Wirklichkeit.
IV
Das technische Prinzip der Photomontage ist jedoch so alt wie die Photographie selbst. Beim Arbeiten mit Collodion-Platten kam es zu unbeabsichtigten Doppelbelichtungen, wenn die Platten vor einer Wiederverwendung nicht sorgfältig gereinigt wurden. Vor der Entwicklung von Skylight-Filtern mussten Landschaftsfotographen mit Doppelbelichtungen arbeiten, wenn sie sowohl Landschaft als auch Himmel mit Konturen wiedergeben wollten.
Die Aufnahmen von Feen aus Kartonpapier, die Elsie Wright and Frances Griffiths, zwei Schuelerinnen aus Cottingley bei Bradford in der Grafschaft Yorkshire zwischen 1916 und 1921 anfertigten, zunächst nur um ihre Eltern zu necken, spaeter aber auch um Spiritualisten und Berühmtheiten wie Sir Arthur Conon Doyle, den Schöpfer der Sherlock Holmes-Detektivgeschichten in die Irre laufen zu lassen (Crawley 2000).
Während das Retuschieren analoger Photographien mit Schere und Retuschierpinsel auch bei grober Bildkörnigkeit einiges handwerkliches Geschick abverlangt, lassen sich digitale Photographien bequemer am Computer bearbeiten. Die digitale Bildbearbeitung auf der Ebene einzelner Pixel (pictorial elements), die jeweils nur aus einem Positions- und einem Farbtonwert bestehen, ermöglicht im Prinzip die perfekte Retusche, bei der auch die Lupe keine Brüche nachweisen kann.
Mit Softwareprogrammen wie dem Adobe Photo Shop stehen bereits heute schon jedem Amateur leistungsfähige Bildmanipulationsmöglichekeiten zur Verfügung. Ein Vielzahl von Agenturen bietet professionelle Retuschen an, die gegen erschwingliches Entgelt bei der Umschreibung der Familiengeschichte behilflich sind. So bietet zum Beispiel die im kalifornischen San Diego ansässige Firma Digital Restoration & Art eine ganze Palette von Bildbearbeitungsdiensten an, darunter die Entfernung einer unliebsam gewordenen Person von einem Familienfoto, die standardmäßig US$ 60.00 kostet, oder ein neuer Hintergrund, für den US$38.00 in Rechnung gestellt werden. Die auf Retuschen spezialisierte Schweizer Graphikagentur Roland Ambuehl wirbt im Internet mit dem Slogan “ Nicht ist unmöglich! Alles kann realisiert werden! “ (10.Nov. 2002, http://www.ambuehl-grafik.ch/retuschen.htm).
Die digitale Manipulation von Fotos ist bei Werbeagenturen etablierte Praxis. Trotzdem können Retuschen, soweit sie bekannt werden, Anstoss erregen, so z.B. als der hessische Ministerpräsident Roland Koch seinen durch eine Parteispendenaffaere stark belasteten Staatskanzlei-Chef Franz Josef Jung aus Fotos von seinem Wahlkampfteam wegretuschieren (cf. Frankfurter Rundschau, 16.November 2000).
V
Fotos und Fernsehbilder scheinen die Wirklichkeit objektiv abzubilden, weshalb sie besser als andere Medien geeignet sind, Beweise zu liefern, das etwas so und nicht anders war. Das Wissen um die Funktionsweise einer unparteiischen Apparatur und eines unparteiischen chemo-optisch-technischen Vorgangs bietet einen Garanten für Authentizität, die durch gelegentlich übersehene störende Details noch an Überzeugungskraft gewinnt. Die Glaubwürdigkeit der photographischer Bilder kann dennoch immer angezweifelt werden. Das letzliche Urteil darüber hängt dann von der Prüfung kontextueller Faktoren, wie intermediale Indizien, Zeugenaussagen, narrativer Kohärenz und Zertifikationen durch autoritative Instanzen ab.
Zwar ist das Prinzip der Photomontage annaehernd so alt wie die Photographie mit fixierbaren Platten, doch scheint die digitale Bildbearbeitungstechnik Bildmanipulation mit geringerem Aufwand und grösserer Perfektion zu ermöglichen, als das früher mit Schere und Retuschierpinsel möglich war. Das führt zur Diskussion, ob dies nicht den eingewöhnten Glauben an die Authentizität von Fotografie untergräbt, soweit der auf der Kenntnis einer apparativen Prozedur beruhte und durch das Auftauchen störender Details in der Glaubwürdigkeit gestärkt wird?
Im korrespondenztheoretischen Verständnis der Photographie ergibt sich deren Objektivität daraus, dass sie eine automatische Abbildung ohne menschliche Intervention liefere, die – anders als die Malerei – einfach alles registriert, was ihr vor die Linse komme. Nach André Bazin (1945) sei die Photographie wesensmässig der Totenmaske vergleichbar, die die Konturen auf deren Grundlage sie geformt wurde, unvermeidlicherweise so wiedergeben muss, wie sie sich im Material abgedrückt haben. Dabei setzt Bazin die Photographie mit reiner mechanischer Reproduktion gleich und blendet jegliche schöpferische Aspekte aus. Noch Susan Sontag (1977) folgt Bazins Auffassung, wenn sie ein Foto als ein “ direct physical imprint “ bezeichnet und es vergleicht mit “ a trace, something directly stencilled off the real, like a footprint or a death mask „. Ein wichtiger Aspektes, aus dem sich die Glaubwürdigkeit von Photographien ableiten läßt, findet sich in dem Hinweis von Roland Barthes (1981/1980), dass realistische Arbeiten oft kleine Details aufweisen, die keine besonderere Funktion zu haben scheinen, als einfach dagewesen zu sein und damit zu signalisieren, dass es sich um eine getreue Abbildung von etwas wirklich vorgefundenem handelte. Demnach können Photographien gerade aus ihrem Reichtum an Details Glaubwürdigkeit schöpfen. William J. Mitchell (1994) bemerkte das beim Fernsehen insbesondere Live-Aufnahmen grosse Glaubwürdigkeit geniessen. Dies mag damit zusammenhängen, dass hier der Manipulation kaum zeitlicher Spielraum zur Verfügung steht und bisweilen Unerwartetes als Zeichen der Eigenmächtigkeit des Referenten ins Bild drängt.
Nach Mitchell sind jedoch die korrespondenztheoretischen Vorstellungen, die von Bazin bis Barthes und Sontag vertreten werden, seit dem Aufkommen der Digitalfotographie überholt. Für Mitchell ist bereits die “ post-photographic era “ angebrochen, in dem “ the ineradicable fragility of our ontological distinctions between the imaginary and the real “ durch die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung ein für alle Mal klar geworden sei. Damit ist für ihn die Ablösung externer Referenten durch symbolische Selbstreferentialität erst vollends in Gang gekommen, um die sich poststrukturalistische Theorien drehten. In dem Moment, in dem sich die Unterscheidung zwischen dem apparathaften Vorgang des Photographierens und dem gestalterischen künstlerischen Schaffen nicht mehr eindeutig aufrecht erhalten lasse, kämen Bilder weder als Garanten visueller Wahrheiten noch als “ signifiers with stable meaning and value “ in Frage. Dies deckt sich mit der Inkongruenz-These, die Baudrillard (1988/1983) in seinem einflussreichen Aufsatz “ Simulation und Simulacrum “ aufgestellt hat, wonach im postmodernen Medienzeitalter die Zeichen keine Referenten mehr hätten.
Auch nach Ansicht von Jay David Bolter und Richard Grusin (1999) verändere das Aufkommen der Digitalphotographie grundlegend unser Verständnis der Geschichte der Photographie. Nicht um wahr und falsch gehe es, sondern um “ immediacy „. Zwar vereinfachten sich mit dem Aufkommen der Digitalfotografie die Manipulationsmöglichkeiten bei der Bildgestaltung, aber ihrer Aufassung nach sei es logisch keineswegs zwingend, sondern auf reiner Konvention beruhend, wenn digitale Bildgestaltung als Manipulation angesehen werde, obwohl doch zum Beispiel bei die Änderung des Farbwertes im Effekt dasselbe wäre, diese durch eine längere Verweildauer im Entwicklungsbad oder durch Algorithmen zu Stande gekommen waere. Gegen Mitchell wenden Bolter und Grusin weiter ein, dass photographische Wahrheit doch auch schon im 19. Jahrhundert nicht unumstritten war, was zum Beispiel in der Behauptung der Impressionisten zum Ausdruck kam, Licht besser wiedergeben zu können als die Photographen. In ihren Augen unterscheiden sich Fotografien gemass ihrem Verhältnis zum “ Wunsch nach Unmittebarkeit „: “ A photograph may be either an expression of the desire for immediacy or a representation of that desire. The photograph that presents itself to be viewed without irony expresses the desire for immediacy, while a photograph that calls attention to itself as a photograph becomes a representation of that desire. “ (S. 110). Gegen Barthes (1981/1980) wenden Bolter und Grusin ein, dass er bei seiner Analyse die Photomontage und Retuschen gar nicht in Betracht gezogen habe. Nach ihrer Auffassung hätte ihn dass davon überzeugen müssen, dass diese “ comments on a photograph or on photography in general, i.e. not an expression but a representation of the desire for immediacy “ seien (S. 111).
VI
In einer aufschlussreichen Fussnote ihres Bandes zur Remediation gehen Bolter und Grusin detaillierter auf die theoretischen Implikationen der Fotomontage ein:
In making us conscious of the medium, photomontage can be seen both to accept and to challenge the received understanding of photography as transparent. From one point of view, photomontage can be interpreted as a deviation from the essentially transparent and unified nature of photography. On the other hand, photomontage can be seen not as deviating from photography’s true nature as a tranparent medium but as exemplifying its irreducible hypermediacy. (Bolter/Grusin 1999, Fussnote 9, S. 38/39)
Mit “ hypermediacy “ meinen Bolter und Grusin den unvermeidlichen Bezug auf Bedeutungsaspekte, die durch andere Medien vermittelt sind. Das damit einhergehende Bewusstmachen der Medialität und der inter- oder hypermedialen Wechselbezüge findet sich besonders ausgeprägt in den Photomontagen und Collagen der Berliner Dada-Gruppe, die den Begriff der Photomontage als Kunstform in den 1920er Jahren geprägt hatte und zu deren herausragende Vertreter u.a. John Heartfield, Hannah Hoech, Johannes Baader, Raoul Hausmann und George Grosz gehörten. Das Spiel mit unterschiedlichen Ebenen von Wirklichkeit, Repräsentation und Fiktion ist aber auch wiederholt Thema in Filmen. So erscheint beispielsweise der Protagonist im Film Forrest Gump (1994, Regie: Robert Zemeckis) in eingeblendeten Fernsehnachrichtenszenen von historischen Ereignissen, wie etwa während der College-Entsegregation in Tuskegee, Alabama oder bei Treffen im Weissen Haus mit dem amerikanischen Präsidenten. Im als Pseudodokumentarfilm konzeptionierten Zelig (1983, Regie: Woody Allen) interagierte Woody Allen mit Personen aus dem historischen Zeitgeschehen, die in Schwarz-Weiss eingeblendet sind. In Barry Levinsons Wag the Dog (1997, Regie: Barry Levinson) scheint die gesamte Politik nur noch auf einer Inszenierung zu beruhen. In diesem Film geriet ein amerikanischer Präsident vor seinem Antritt zur Wiederwahl wegen eines Sexskandals so in publizistische Bedrängnis, dass er sich genötigt sah, einen spin doctor zu engagieren, auf dessen Anraten hin, Filmsequenzen von einem angeblichen Krieg in Albanien inszeniert wurden, die dann schnellestens an die Presse durchgesickert wurden, um so die Aufmerksamkeit von dem Skandal abzulenken.
Wenn von der Photographie gesagt wird, dass sie die Welt der Repraesentation betrete und dabei gleichzeitg deren Gesetze revolutioniere, so gilt dies auch für Kloppmanns Trotzki-Arbeiten, allerdings in einem ganz anderen Sinne. Sein “ absurd-ironischer “ Umgang mit den photographischen Bildern, Szenen und Versatzstücken erschafft neue Repräsentationen, die für das Es-hätte-auch-Anders-sein-Können des Wirklichen steht. Seine künstlerischen Konzeptionen haben die zunächst linguistische, später medientheoretische Wende der Sozialwissenschaften absorbiert und weitergedacht. Die Repräsentationen des fotographischen Exil sind gleichzeitig auch Untersuchungen der fotographischen Realität. Kloppmanns rekombinierte Repräsentationen weisen dabei nicht nur den naiven Glauben an die photographische Korrespondenz mit Wirklichem zurück, sondern gehen auch über die poststrukturalistischen Annahmen einer fundamentalen Inkongruenz zwischen Wirklichen vom Imaginären hinaus. Statt positivistischer Verdoppelung oder teilnahmeverweigerndem Schweigen kommt für Kloppmann nur die virtuose Aneignung und die spielerisch-schöpferische Umformung mit dem geschichtlichen Material in Frage, aus dem sich die Wirklichkeit ihre Bilder schafft.
Literatur
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Bazin, André. 1967 (orig. 1945). “ The Ontology of the Photographic Image “ in: What Is Cinema?, herausgegeben von Hugh Gray. Berkeley, CA: University of California Press.
Berger, John. Ways of Seeing. New York: Viking Press, 1973.
Bolter, Jay David / Grusin, Richard. 1999. Remediation: Understanding New Media. Cambridge, MA: MIT Press.
CNN. 1997. “ Final Topic of Testimony is Simpson’s Footwear „, 16.Januar 1997, <http://www.cnn.com/US/9701/16/simpson/#photo> [Retrieval 10.November 2002].
Crawley, Geoffrey. 2000. “ Photographing Fairies „, British Journal of Photography, 5. January 2000.
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Fauser, Joerg. 1979. Trotzki, Goethe und das Glück.. München: Rogener & Bernhard,
Frankfurter Rundschau, 16.November 2000.
King, David. 1997. Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulationen in der Sowjetunion. Hamburg: Verlag Hamburger Edition.
Mitchell, William J. 1994. The Reconfigured Eye: Visual Truth in the Post-Photographic Era. Cambridge, MA: MIT Press.
Musial, Bogdan „Bilder einer Ausstellung. Kritische Anmerkungen zur Wehrmachtsausstellung“, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 4, 1999, S. 563-593.
Schulz, Markus S. 2003. “ Cultural Politics after Buchenwald: Imagining Weimar, “ in: Why Weimar? herausgegeben von Peter M. Daly und Hans Walter Frischkopf. New York, Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt, Oxford, Wien: Peter Lang, McGill European Studies Series (im Erscheinen).
Sontag, Susan. On Photography. New York: Farrar, Straus & Giroux, 1977.
Trotzki, Leo. 1939. “ Kunst und Revolution, “ Leserbrief, Partisan Review, Bd. 6, Sommer-Ausgabe (Juli) [http://www.mlwerke.de/tr/1938/380617a.htm].